city.crime.control
| textarchiv Jochen Becker: "Als (am 9. Mai)
1973 die Bremische Bürgerschaft ihr damals zeitgemäßes und wegweisendes
Programm für ‚Kunst im öffentlichen Raum' beschloß, waren die Straßen
nicht mehr ‚die Wohnung des Kollektives'. Die Städte waren weder eine
‚lebendige Landschaft' noch eine ‚wohnliche Stube', sondern funktionalistische
Zweckgebilde, in denen noch die letzten Reste von Urbanität einer vorgeblichen
Logik geopfert wurden." Trassenkampf Die ersten Planungen für den Rembertikreisel liegen über siebzig Jahre zurück. Im Zuge der ersten ‚Allgemeinen Deutschen Verkehrszählung' durch den ‚Deutschen Straßenbauverband' wurde 1925/26 für Bremens Zentrum eine "Umleitung der Lebensströme" entwickelt. Zwei neue Durchgangsstraßen und dazugehörige Weserbrücken sollten den Verkehr noch vor der Innenstadt "abfangen". Nach dem zweiten Weltkrieg beschloß die Stadt die Bebauungspläne für den Bahnhofsvorplatz in Richtung östliche Weserüberquerung. Ab 1959 wurde das Viertel Remberti/Ostertor durch große Bau und Grundstücksgesellschaft in "Kaufbereiche" geteilt, aufgekauft und abgeräumt. Die sich konstituierenden Baugesellschaften erweiterten mit Hilfe von Gefälligkeitsgutachten ihre Begehrlichkeit auch auf Flächen jenseits der künftigen Trasse. Nun sollte eine breitangelegte Flächensanierung mit sprunghafter Verdichtung und Stockwerksbebauung die östliche Vorstadt komplett umwandeln. Ende der 60er Jahre war quer durch die Innenstadt eine Hochstraße (fly over) gebaut worden, die im neuentstandenen Rembertikreisel auslief und über schon abgeräumte Grundstücke Richtung Weser autobahnartig weitergeführt werden sollte. Im Herbst 1968 beriet der SPDOrtsverband Altstadt, ob man gegen Vietnam und Notstandsgesetze demonstrieren, oder sich des eigenen Viertels annehmen sollte. Sie zogen einen lokalen Trassen dem allgemeinen Klassenkampf vor und entschieden sich für die (Stadt)Reform. Während des fortschreitenden Abrisses für den Rembertikreisel startete der ‚Arbeitskreis Ostertorsanierung' im März 1969 eine Fragebogenaktion. Mit beinahe 95prozentiger Zustimmung im Viertel kämpfte man von nun an gegen Abriß, Trasse, Baugesellschaften sowie gegen den Filz der eigenen Partei. Denn eine weitere, von der sozialdemokratisch/gewerkschaftseigenen ‚Neuen Heimat' in Auftrag gegebene Studie plante Hochstraßen und Tunnellösungen, Tiefgaragen und Hochhäuser ein. Die in Wohn und Gewerbezonen gespaltene Verdichtung hätte die Bevölkerungsquote verdoppelt, mehr Verkehr angezogen und weitere Trassen nach sich gezogen. Stadtreparatur
Ende 1973 war der politische Kampf für das Viertel und gegen
die Trasse durch ein Bündnis mehrerer SPDOrtsverbände entschieden.
Nun begann die "Stadtreparatur" des abgebrochenen Brachlandes mit ihren
Restbauten, um eine "gewachsene Blockstruktur" zu erhalten bzw. wiederherzustellen.
Verkehrsberuhigung, der Ausbau vorhandener Gebäude und einige Hausbesetzungen
folgten. Das leergekaufte Viertel bevölkerte sich wieder, die ehemaligen
Trassenkämpfer gründeten Familien, städtische und staatliche
Bedienstete prägten das prosperiende Viertel Remberti/Ostertor. 1980
mußte der Standard bei der Umfeldgestaltung gemindert werden, um
eine "Besserstellung" des Ostertors gegenüber anderen Stadtteilen
nicht zu "augenfällig" werden zu lassen. ‚15 Jahre SPD in Bremen,
dann Grün': Der Titel einer autobiografischen Schrift des ehemaligen
Trassenkämpfers Olaf Dinné zeichnet modellhaft die Entwicklung
eines 68erLinken vom rebellischen OrtsverbandsAktivisten und SPDArchitekten
zur kiezorientierten Mitgliedschaft bei den Grünen, welche hier übrigens
erstmalig in der Bundesrepublik ins Parlament einziehen
konnten. Die Protestwerkzeuge einer außerparlamentarischen Linken
dienen nun der Interessenswahrung des (ex)grünen Mittelstands.(1)
Inzwischen tritt Dinné als wehrhafter Rechtsbürger
in Erscheinung und warnte bei einer Diskussionsrunde zur Eröffnung
von ‚Open Air', daß die unkontrollierte Anwesenheit von Junkies
und Drogenprostitution die AnwohnerInnen weiter nach rechts treiben würde.(2)
Modell
‚Wohnliche Stadt' Bremen Zeitgleich mit Ende des "Trassenkampfs" wurde
im Mai 1973 die Haushaltsstelle ‚Kunst im öffentlichen Raum' erstmalig
in der Bundesrepublik eingerichtet.(3) Die Entscheidung
über die vormals vom Bausenat vergebenen Gelder für ‚Kunst am
Bau' werden nun vom Senat für Bildung, Wissenschaft und Kultur in
Zusammenarbeit mit einem Beirat getroffen. Standen anfangs noch jährlich
über eine Millionen Mark zur Verfügung, so vergibt die seit
1982 hierfür eingerichtete ‚Stiftung Wohnliche Stadt' nur mehr 400.000
Mark. "was
fehlt" Das 1993 von Andreas Wegner organisierte Ausstellungprojekt
‚Open Air' (5)
suchte der immer konventionelleren Kunstproduktion für den Außenraum
ein für Bremen neues Modell der Intervention entgegenzusetzen. Selbst
Teil des Bremischen ‚Kunst im öffentlichen Raum'Programms, verstrickte
sich ‚Open Air' jedoch schon bald in einer zusehens eskalierenden Politik
gegen DrogennutzerInnen. Der zwanzig Jahren lang nach außen hin
zugewucherte Rembertikreisel eine der letzten, selbst von der Polizei
gedulteten Rückzugsmöglichkeiten für Junkies fungierte
hierbei als zentrales Thema des Projekts und war zugleich als Ausstellungsterrain
gedacht. Zonen der Zerstörung
Dem emanzipatorischen
wie zunehmend halbherzigen Ansatz der Bremischen Kunst im Außenraum
stehen "Vandalismus", Verbalattacken und Leserbriefschlachten gegenüber.
Öffentliche Kunst wird nicht mehr nur in den Wohnvierteln als Fremdkörper
betrachtet: Leserbriefspalten schelten über Kulturgelder, die den
von ‚Deutsche Aerospace' Entlassenen nicht zugute kämen; dem ‚Open
Air'Kommentator des Bremer Anzeigers, Hans H. Oldenburg, geht "das Messer
in der Tasche" auf; und die DVU (10)
stellt im Bremischen Landtag den sogleich publizierten Antrag
"Keine Steuergelder für Antikunst", welche "von der Mehrheit der
Bevölkerung als ‚abstoßend' und ‚häßlich' empfunden"
würde. ‚Kultur
und Ausländerintegration' lauten die Aufgabenbereiche der für
‚Open Air' zuständigen Senatorin, doch der Senator für Umweltschutz
und Stadtentwicklung sowie der Kollege für Inneres haben hierbei
die Oberhand. Das mutlose Abtauchen des Referats für ‚Kunst im öffentlichen
Raum' gegenüber dem Rembertikreisel Projekt ‚Open Air' (11)
gab gleichfalls Zeugnis von einer Konfliktscheue, welche öffentlichen
Auseinandersetzungen ausweicht und somit die Zerstörung duldet.
Alle Rechte für diesen Text bei Jochen Becker. |
|
|
city
crime control 3.4.2000 |
(>1)
Siehe hierzu auch meinen Text "Wir fordern die sofortige Schließung
der Stadt Zürich" zum dortigen ‚war on drugs' in Kunst-forum #132. |
||
(>2) Eine ähnliche Argumentation "man muß die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernstnehmen" erleichterte im gleichen Jahr dem Bundesparlament die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. | ||
(>3) Die Stadtstaaten Berlin (1979) und Hamburg (1981) folgten nach. So leitete der Kunst-, Musik- und Architektur-historiker Volker Plagemann von 1973 bis 1980 die Bremer Kulturverwaltung und führte als neuberufener Senatsdirektor der Hamburger Kulturbehörde ab 1981 auch hier das institutionalisierte Modell ‚Kunst im öffentlichen Raum' ein. | ||
(>4) Als Gegenmodell ließe sich das vielgelobte ‚Wandbild Pastorenweg' anführen. Für einen Hochbunker im Bremer Industrie-bezirk Gröpelingen erarbeitete Jürgen Waller zusammen mit Kunst-studentInnen 1978 ein monumentales Wandgemälde, welches die Produktionsprozesse der benachbarten AG-Weser-Werft zum Thema hatte. Der Bildmontage gingen langwierige Recherchen zur Stadtteil-, Industrie- und Sozialgeschichte voraus. | ||
(>5) Mit BüroBert, Marlene McCarty, Singe Kremer, John Miller, minimal club, Fritz Rahmann, Aura Rosenberg, Kirsten Starcke, Silvia Steiger, Andreas Walther und Andreas Wegner. Rembertikreisel und Galerie Gruppe Grün, 15.10.-15.11.1993. Hierzu erschien eine zwanzigminütige Video- sowie ausführliche Print-Dokumentation: Galerie Gruppe Grün, Fedelhören 32, D-28203 Bremen. | ||
(>6) Im Zuge der über Wochen geführten Kunst-Debatte wurden Pläne von Investoren bekannt, welche an Stelle des Kreisels eine lukrative Rück-Bebauung vorschlugen. | ||
(>7) "Meine ad-hoc-Beziehung zum Rembertikreisel ist ein wenig touristisch. Ich fuhr mit dem Zug von Berlin nach Bremen, verschoß vier Filme und kehrte am selben Abend zurück. Alles, was ich über den Kreisel wußte, wußte ich von Andreas Wegner." John Millers ‚Selbst-Kritik' in der Printdokumentation | ||
(>8) "Ich finde das symptomatisch für eine Kunstausstellung, es gibt Künstler, die lange vorher an-ge-schrieben wor-den sind, aber Leute, die hier vor Ort sind, die fragt man einfach mal eben so nebenbei. Und mit Sicherheit laufe ich da un-ter dem Namen Dokumentaristin oder Fotografin, aber nicht unbedingt unter dem Namen Künstlerin... Wenn ich in den Zeitungsbesprechungen nicht erwähnt werde, wo, wann und wie ausgestellt, dann fehlen diese Da-ten auch in meiner Bio-gra-fie. Daß ich im Nebenberuf hier meine ganze Sozialarbeit mache, ist 'ne andere Ge-schich-te, wo-raus diese Dinge (die Fotoserien) entstanden sind. Ich habe beispielsweise in meiner Ausstellung auch rein-ge-schrieben, wer da Assistenz, wer Layout ge-macht hat. Ich benenne die Leute. Das ganze Ladenteam, das mich für die-se Serie (für die bei ‚Open Air' gezeigten Fotos) freigestellt hat, das gehört dazu, denn sie ge-ben mir ja auch den Freiraum zu sagen, okay, jetzt mache ich eine Woche lang das." Singe Kremer im Gespräch mit Sabeth Buch-mann und Renate Lorenz | ||
(>9) Der vorliegende Beitrag fügt sich aus Teilen meines sowie Auszüge aus Texten von Heino Stöver/Verein für akzeptierende Drogenarbeit und Stephan Geene sowie dem Interview von Sabeth Buchmann und Renate Lorenz mit Biggi Stiem und Singe Kremer vom Kontaktladen Weberstraße. | ||
(>10) Die nationalistische ‚Deutsche Volksunion' des Münchner Verlegers Frey erreichte, voran sie kürzlich in Hamburgs ‚Law & Order'-Wahlkampft nur knapp scheiterte: Sie wurde in den Landtag gewählt. | ||
(>11) Der Rückzug des Referats bzw. der übergeordneten Kulturbehörde zur Abholz- und Schildaktion wird in der Projektdokumentation aus-führlich behandelt. | ||
(>12) Mit diesem Wahlspruch trat Hamburgs Regierungschef Voscherau seine letzte Wahl an. Siehe hierzu auch die Zeitungsbeilage anläßlich der Innen-Stadt-Aktion vom 2.-8. Juni 1997, welche der bundesdeutschen taz, die tageszeitung, dem Berliner scheinschlag, der schweizer WoZ sowie der Berner Tag-wacht beigefügt war. | ||