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Jochen Becker:
Im Dickicht der Innenstädte.
25 Jahre Kunst im öffentlichen Raum


(
aus: "Zur Sache: Kunst am Bau", Triton Verlag, Wien 1998)

"Als (am 9. Mai) 1973 die Bremische Bürgerschaft ihr damals zeitgemäßes und wegweisendes Programm für ‚Kunst im öffentlichen Raum' beschloß, waren die Straßen nicht mehr ‚die Wohnung des Kollektives'. Die Städte waren weder eine ‚lebendige Landschaft' noch eine ‚wohnliche Stube', sondern funktionalistische Zweckgebilde, in denen noch die letzten Reste von Urbanität einer vorgeblichen Logik geopfert wurden."
Helga Trüpel, grüne Senatorin für Kultur und Ausländerintegration, 1993.
          
Der Traum ist aus: Vor 25 Jahre löste ‚Kunst im öffentlichen Raum' nicht nur das überkommene Modell ‚Kunst am Bau' ab, sondern markierte zugleich den Wandel sozialer Bewegungen vom Widerstreit und BürgerInneninitiativen hin zur Bürgerwehr. Auf Klassen wie Trassenkampf im roten Stadtstaat Bremen folgte Desintegration durch soziale wie ökonomische Polarisation. Inzwischen kontrolliert Polizei und Verwaltung Betrieb und Terrain der Stadt, während selbst Teile des grünen Milieus sich gegen Junkies und Menschen ohne deutschen Paß organisieren. Die spezifische Entwicklung des Bremer Stadtviertels rund um den Rembertikreisel zeigt, wie sozialräumliche Polarisierung, die Verelendung immer breiter definierter ‚Randgruppen' sowie die gleichzeitige Verinnerlichung von Innerer Sicherheit und Säuberungswahn im linksbürgerlichen Milieu ineinandergreifen.
     
     Diente ‚Kunst im öffentlichen Raum' anfänglich noch als Integrationsfaktor zur Abfederung sozialer Umbrüche, so gelten vormals öffentliche Orte wie Innenstädte, öffentliche Verkehrsmittel und Szeneviertel nun als Zonen der Ausgrenzung und Kontrolle. Wenn die "öffentliche Ordnung" mit Platzverweisen, Aufenthaltsverboten und Räumungen durchgesetzt wird, ist ‚Kunst im öffentlichen Raum' ohne die Revision sowohl des Städtischen als auch ihrer Öffentlichkeiten nicht zu verhandeln. Entgegen der Senatsbezeichnung "Kultur und Ausländerintegration" ist insbesondere die öffentliche Verwaltung treibende Kraft "auf dem Weg zur Apartheit" (Antirassismusbüro Bremen). Wie nunmehr für Menschen mit dunklen Hautpigmenten der Aufenthalt großer Bereiche der Innenstadt, der Szeneviertel und des Hauptbahnhofs sowie die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel über Monate hinweg verboten werden, wie sie auf Polizeiwachen geschlagen und ihnen Brechmittel verabreicht werden, zeichnete sich allerdings schon fünf Jahre zuvor in der Politik gegen Junkies ab.
          "Die ordnungspolitische Dominanz der Drogenpolitik wirkt sich mit ihren repressiven Maßnahmen in enormem Maße kontraproduktiv auf die Lebens und Konsumbedingungen der DrogenkonsumentInnen und auch auf mögliche Hilfsangebote aus. ... Das Drogenthema ist auch eine ideale Bühne für symbolische Politik, Selbstinszenierungen, Klagen, Kreation von nützlichen Feinden. Man kann die Drogen nehmen, um andere Politikfelder zu bestellen: schärferes Vorgehen gegen Asylbewerber, bettelnde oder herumlungernde Abhängige im neuen Bremischen Polizeigesetz." Heino Stöver/Verein für akzeptierende Drogenarbeit

Trassenkampf Die ersten Planungen für den Rembertikreisel liegen über siebzig Jahre zurück. Im Zuge der ersten ‚Allgemeinen Deutschen Verkehrszählung' durch den ‚Deutschen Straßenbauverband' wurde 1925/26 für Bremens Zentrum eine "Umleitung der Lebensströme" entwickelt. Zwei neue Durchgangsstraßen und dazugehörige Weserbrücken sollten den Verkehr noch vor der Innenstadt "abfangen". Nach dem zweiten Weltkrieg beschloß die Stadt die Bebauungspläne für den Bahnhofsvorplatz in Richtung östliche Weserüberquerung. Ab 1959 wurde das Viertel Remberti/Ostertor durch große Bau und Grundstücksgesellschaft in "Kaufbereiche" geteilt, aufgekauft und abgeräumt. Die sich konstituierenden Baugesellschaften erweiterten mit Hilfe von Gefälligkeitsgutachten ihre Begehrlichkeit auch auf Flächen jenseits der künftigen Trasse. Nun sollte eine breitangelegte Flächensanierung mit sprunghafter Verdichtung und Stockwerksbebauung die östliche Vorstadt komplett umwandeln. Ende der 60er Jahre war quer durch die Innenstadt eine Hochstraße (fly over) gebaut worden, die im neuentstandenen Rembertikreisel auslief und über schon abgeräumte Grundstücke Richtung Weser autobahnartig weitergeführt werden sollte. Im Herbst 1968 beriet der SPDOrtsverband Altstadt, ob man gegen Vietnam und Notstandsgesetze demonstrieren, oder sich des eigenen Viertels annehmen sollte. Sie zogen einen lokalen Trassen dem allgemeinen Klassenkampf vor und entschieden sich für die (Stadt)Reform. Während des fortschreitenden Abrisses für den Rembertikreisel startete der ‚Arbeitskreis Ostertorsanierung' im März 1969 eine Fragebogenaktion. Mit beinahe 95prozentiger Zustimmung im Viertel kämpfte man von nun an gegen Abriß, Trasse, Baugesellschaften sowie gegen den Filz der eigenen Partei. Denn eine weitere, von der sozialdemokratisch/gewerkschaftseigenen ‚Neuen Heimat' in Auftrag gegebene Studie plante Hochstraßen und Tunnellösungen, Tiefgaragen und Hochhäuser ein. Die in Wohn und Gewerbezonen gespaltene Verdichtung hätte die Bevölkerungsquote verdoppelt, mehr Verkehr angezogen und weitere Trassen nach sich gezogen.

Stadtreparatur Ende 1973 war der politische Kampf für das Viertel und gegen die Trasse durch ein Bündnis mehrerer SPDOrtsverbände entschieden. Nun begann die "Stadtreparatur" des abgebrochenen Brachlandes mit ihren Restbauten, um eine "gewachsene Blockstruktur" zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Verkehrsberuhigung, der Ausbau vorhandener Gebäude und einige Hausbesetzungen folgten. Das leergekaufte Viertel bevölkerte sich wieder, die ehemaligen Trassenkämpfer gründeten Familien, städtische und staatliche Bedienstete prägten das prosperiende Viertel Remberti/Ostertor. 1980 mußte der Standard bei der Umfeldgestaltung gemindert werden, um eine "Besserstellung" des Ostertors gegenüber anderen Stadtteilen nicht zu "augenfällig" werden zu lassen. ‚15 Jahre SPD in Bremen, dann Grün': Der Titel einer autobiografischen Schrift des ehemaligen Trassenkämpfers Olaf Dinné zeichnet modellhaft die Entwicklung eines 68erLinken vom rebellischen OrtsverbandsAktivisten und SPDArchitekten zur kiezorientierten Mitgliedschaft bei den Grünen, welche hier übrigens erstmalig in der Bundesrepublik ins Parlament einziehen konnten. Die Protestwerkzeuge einer außerparlamentarischen Linken dienen nun der Interessenswahrung des (ex)grünen Mittelstands.(1) Inzwischen tritt Dinné als wehrhafter Rechtsbürger in Erscheinung und warnte bei einer Diskussionsrunde zur Eröffnung von ‚Open Air', daß die unkontrollierte Anwesenheit von Junkies und Drogenprostitution die AnwohnerInnen weiter nach rechts treiben würde.(2)
          "Das Ostertor hat sich seinerzeit gerühmt, als diese Leute, die dort als Hausbesitzer aufgetreten sind, sich noch Linke genannt haben, da haben die 'drauf bestanden, daß die Junkies hier bleiben: Durch die Randgruppen lebt dieses Viertel, wir wollen die Ausländer hier, wir wollen auch die Junkies hier, das gehört dazu. Und jetzt findet da 'ne Ausgrenzung statt. Für diesen Prozeß ist der Rembertiring stellvertretend. Es ist eine der letzten Oasen, die hier eingestampft wird und damit wird hier eine Politik eingestampft... Wieviele Leute heute über blau angelaufene Leute 'drübersteigen, keinen Krankenwagen mehr rufen, sondern die liegen lassen; es ist da auch eine Verrohung zu beobachten."
Biggi Stiem/Kontaktladen Weberstraße
          Terrakottaläden und Copyshops, Straßencafés, Antiquitätenläden und Kindergartenhöfe prägen heute das gewandelte Stadtbild. Hinzu traten in den letzten Jahren Absperrgitter, höhergezogene Zäune, verbarrikadierte Einfahrten, Hindernisse aus Fahrradwracks, selbstgefertigte AntiDrogenZettel, abgeriegelte Spielplätze und Schulhöfe, womit sich die AnwohnerInnen oft im Namen ihrer Kinder gegen Drogendeals und Spritzensetzen, "Begleitkriminalität" und Prostitution abzuschotten suchen. Wie Biggi Stiem erzählte, demonstrierten Kinder der SchmidtSchule mit Schildern wie "Hier ist kein Puff" auf dem Schulhof. Doch auf ihre Nachfrage wußte keines, was denn nun ein Puff sei: "Zwischen Kindern, Ausländern und Junkies gab es eigentlich keinen Konflikt. Die Kinder, die hier im Ostertor leben, wissen was Pumpen sind, wissen, die hat man liegenzulassen."
          Wo bislang ein brachliegendes Grundstück mit Grasbewuchs, Obstbäumen und angelegten Wegen die Weberstraße mit Körnerwall und Schildstraße verband, reklamiert nun ein eingetragener Verein bürgerlichen Rechts das Gelände für sich und verteilt die Schlüssel des eingezäunten Terrains unter den Mitgliedern. Mit Duldung der Stadt wurde hier ein öffentlicher Durchgang und frei zugänglicher Platz zum kontrollierten Privateigentum, gekennzeichnet als AnwohnerInneninitiative gegen "die Drogis" (so ein dort spielendes Kind). Der Kontaktladen des ‚Verein Kommunale Drogenpolitik' in der Weberstraße liegt direkt gegenüber. Die dort sich Treffenden erhalten allerdings keinen Zutritt auf das Freigelände, da sie nicht als AnwohnerInnen gelten.

Modell ‚Wohnliche Stadt' Bremen Zeitgleich mit Ende des "Trassenkampfs" wurde im Mai 1973 die Haushaltsstelle ‚Kunst im öffentlichen Raum' erstmalig in der Bundesrepublik eingerichtet.(3) Die Entscheidung über die vormals vom Bausenat vergebenen Gelder für ‚Kunst am Bau' werden nun vom Senat für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Zusammenarbeit mit einem Beirat getroffen. Standen anfangs noch jährlich über eine Millionen Mark zur Verfügung, so vergibt die seit 1982 hierfür eingerichtete ‚Stiftung Wohnliche Stadt' nur mehr 400.000 Mark.
          
Die KunstProduktion im öffentlichen Raum wurde anfangs von KünstlerInnen wie auch der Verwaltung als gesellschaftlicher Prozeß verstanden. Es bildeten sich "lose organisierte Bürgerinitiativen" (HansJoachim Manske, Bremens Kurator für ‚Kunst im öffentlichen Raum'), die nicht selten mit Stadteilparlament und Fachreferat in einen "Dauerdialog" traten. Hierdurch versprach man sich Transparenz der Entscheidungsprozesse, öffentliche Diskussionen, Einbeziehung von Anwohner und NutzerInnen in die Planung und Produktion von Kunstwerken durch eine "Beratergruppe" und einen Ausgleich kultureller Benachteiligung von Bevölkerungsgruppen. "Schwellenängste bildungsferner Gruppen" sollten abgebaut, "kulturell unterversorgte Stadtteile" erschlossen, soziale Härten im Zuge der bis heute anhaltenden Werftenkrise abgefedert werden.
          
Auf den direkt ausgetragenen Widerstreit der Straße folgte im Laufe der Zeit eine Stadtkulturpolitik, welche sich von einer politischen Praxis mit künstlerischen Methoden hin zum social engeneering der Kulturverwaltung verlagerte. "Mit kunstpädagogischen Motiven wurde zunehmend auf Nutzbarkeit, ‚Bespielbarkeit', und leichte Vermittelbarkeit, schließlich in der Wiederholung realistischer Wandmalereiprojekte auf Harmonie gesetzt, wo zunehmend ästhetische und inhaltliche Innovation und wohl auch Konfrontation erforderlich gewesen werden", schrieb der einst hierfür verantwortliche Kulturpolitiker Volker Plagemann. Parallel zum Fortschreiten der begrünenden "Stadtreparatur" wurden nun vermehrt künstlerische Arbeiten im Wohnumfeld plaziert. Noch aus der Anfangsphase stammt das Wandgemälde ‚Blick aus dem Fenster', welches Peter K.F. Krüger 1976 auf eine Brandmauer direkt am Rembertikreisel auf 18 x 15 Metern anbringen ließ. Das hier vorgegebene Rollenmodell kleinbürgerlich, heterosexuell, seßhaft, neugierig, doch ohne direkten Kontakt mit dem Angeblickten ist trotz realistischem Malstil gänzlich irreal: Der vielbefahrendoppelspurige Rembertikreisel lädt niemanden ein, das Fenster weit zu öffnen und gemütlich hinabzublicken.(4)

"was fehlt" Das 1993 von Andreas Wegner organisierte Ausstellungprojekt ‚Open Air' (5) suchte der immer konventionelleren Kunstproduktion für den Außenraum ein für Bremen neues Modell der Intervention entgegenzusetzen. Selbst Teil des Bremischen ‚Kunst im öffentlichen Raum'Programms, verstrickte sich ‚Open Air' jedoch schon bald in einer zusehens eskalierenden Politik gegen DrogennutzerInnen. Der zwanzig Jahren lang nach außen hin zugewucherte Rembertikreisel eine der letzten, selbst von der Polizei gedulteten Rückzugsmöglichkeiten für Junkies fungierte hierbei als zentrales Thema des Projekts und war zugleich als Ausstellungsterrain gedacht.
          "den rembertikreisel erhalten zu wollen, ist voller widersprüche... autos durchfahren ein gebiet, das nicht gerade ein park ist, eher eine zufallsgestaltung, eine durchkreuzung einer durchschnittlich stadtgärtnerisch angelegten autobahndekoration... und auf anderer ebene wiederholt sich hier das paradox: dass sich drogenbenutzer/innen auf ein öffentliches ‚loch' zurückziehen müssen, das keine sanitären anlagen hat, nichts gegen regen + kälte schützendes, das kann schwer als erhaltenswerte situation beschrieben werden. dennoch war es in einer sich für junkies in bremen zuspitzenden situation ein stark aufgesuchter ort; zumindest keine ausgrenzung durch privatbürgerliche zäune."
Stephan Geene/minimal club
          Drei Wochen vor Eröffnung des Ausstellungsprojekts mähten Gartenbauamt und Entsorgungsbetriebe auf Geheiß des Innensenators van Nispen das Dickicht nieder und zerschredderte hunderte Bäume und Büsche zu 40 Kubikmeter "Grünmasse": Torkelnde Junkies und Obdachlose störten den Straßenverkehr, "Wildwuchs" sei "nach der Bremer Baumschutzverordnung nicht geschützt", Belange der öffentlichen Ordnung hätten Vorrang. Das Abräumen von Behausungen und Aufenthaltsräumen im Rembertikreisel gilt hingegen nicht als Wohnraumabriß.(6) Vorab ließ die Stadtverwaltung fünf Schilder aufstellen: "Zelten verboten Amt für Straßen und Brückenbau". Nach einer Idee von Marlene McCarty wurden diese Tafeln jedoch schon bald gegen "Die Hosen runterlassen! Amt für Straßen und Brückenbau" ausgewechselt. Danach wurden spontan die alten Schilder mit Sekundenkleber an die Fassaden von Gartenbauamt, Innensenat und den abgezäunten Spielplatz befestigt.
          
Die Mehrzahl der beteiligten KünstlerInnen beharrte trotz dieser Zuspitzung weiterhin auf ihrem einmal entwickelten Konzept (7) und legten ihre nunmehr gänzlich disfunktionalen Objekte (Laterne, Decke, Feuerstelle, mit Steinen aufgefüllte Kartoffelsäcke) auf dem inzwischen abgeholzten Platz ab. Andere wurden wie im Falle der Fotografin Singe Kremer, zugleich Mitarbeiterin eines Drogenprojekts kurzfristig hinzugeladen.(8) BüroBert und minimal club hatten schon vor dem Kahlschlag entschieden, sich nicht auf dem Kreisel zu exponieren. Wo bislang ein Trampelpfad den Weg zwischen den Quartiern verkürzte, hatten unserer Vorstellung nach herumschweifende Ausstellungstouristen nichts zu suchen. Stattdessen fügten wir einer vom Etat bestimmten Teilauflage der dem grünen Milieu nahestehenden taz bremen vom 4. 12. 1993 eine Beilage bei: ‚was fehlt z.B. Rembertikreisel'. Die vierseitige Drucksache sollte Entwicklung und Situation eines umstrittenen Terrains sowie die Eskalation der Stadtpolitik fassen. (9)

Zonen der Zerstörung Dem emanzipatorischen wie zunehmend halbherzigen Ansatz der Bremischen Kunst im Außenraum stehen "Vandalismus", Verbalattacken und Leserbriefschlachten gegenüber. Öffentliche Kunst wird nicht mehr nur in den Wohnvierteln als Fremdkörper betrachtet: Leserbriefspalten schelten über Kulturgelder, die den von ‚Deutsche Aerospace' Entlassenen nicht zugute kämen; dem ‚Open Air'Kommentator des Bremer Anzeigers, Hans H. Oldenburg, geht "das Messer in der Tasche" auf; und die DVU (10) stellt im Bremischen Landtag den sogleich publizierten Antrag "Keine Steuergelder für Antikunst", welche "von der Mehrheit der Bevölkerung als ‚abstoßend' und ‚häßlich' empfunden" würde.
          
In seinem Text ‚Warum wird Kunst im Außenraum zerstört?' verweist Walter Grasskamp auf den Unterschied zwischen der Ächtung von Kunstattacken im Museum, und einem eher beiläufig zur Kenntnis genommenen Kunstvandalismus im Außenraum. Die öffentliche Zerstörung liest Grasskamp als Folge der Ferne zwischen Kunstproduktion, Verwaltung und Publikum, auf die die Nachkriegsbehörden mit trotzhafter Pädagogik reagierten. "Diese Kulturpolitik des schlechten Gewissens verfuhr ... unhistorisch, als sie die Distanz zwischen Kunst und Öffentlichkeit, welche die Avantgardekunst etabliert hatte, nicht zur Kenntnis nahm." Bildeten anfangs noch Festivals und Spektakel sowie urbane Modelle ("Straßenkunst") den Bezugsrahmen, hielt nach und nach das ‚autonome Kunstwerk' erneut Einzug. Künstlerische Praxis ohne soziale, ortspezifische und historische Einbindung, der die Erkundung des Ortes und der Mut zur NichtMaterialisierung der Ideen fehlt, wirkt im städtischen Umfeld deplaziert und anmaßend.
          
Die Kunst zog sich aus den nunmehr als Privatbereich erachteten Straßenzügen zurück und entledigte sich der "häufig qualvollen und für alle Seiten unbefriedigenden Versuche der Vermittlung zwischen Künstlern und Bevölkerung" (Albrecht Göschel). Die Kunst im Außenraum hat das vormals Prozeßhafte weitgehend abgestreift und bescheidet sich in ihrer Objekthaftigkeit gewissermaßen eine ‚Kunstsammlung im öffentlichen Raum'. Die Überlegungen des Künstlers Jochen Gerz, am Ende seiner ‚Bremer Befragung' (1993/94) möglicherweise nichts Materialisiertes zu hinterlassen und stattdessen die Erarbeitung in den Vordergrund zu stellen, führten beinahe zum Abbruch der Förderung. Bremens ‚Kunst im öffentlichen Raum' ist nach 25 Jahren kaum mehr als eine Verwaltungsstelle.

‚Kultur und Ausländerintegration' lauten die Aufgabenbereiche der für ‚Open Air' zuständigen Senatorin, doch der Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung sowie der Kollege für Inneres haben hierbei die Oberhand. Das mutlose Abtauchen des Referats für ‚Kunst im öffentlichen Raum' gegenüber dem Rembertikreisel Projekt ‚Open Air' (11) gab gleichfalls Zeugnis von einer Konfliktscheue, welche öffentlichen Auseinandersetzungen ausweicht und somit die Zerstörung duldet.
          
"Der Kontaktladen ist für mich der hochsensibelste Bereich in ganz Bremen. Hier weißt du, was abläuft. Politisch, von den sog. Bürgern her, im innersozialen Bereich, von den ganzen Junkies, da mußt du nicht mehr rätseln, da kriegst du's mit. Diese Bereiche sagen dir was über Zukunft, was im Staat abläuft.... Ich habe versucht, in den politischen Gremien zu arbeiten, mit dem Ergebnis, daß ich permanent niedergeschrieen worden bin als Vertreterin der kommunalen Drogenpolitik."
Singe Kremer/Kontaktladen Weberstraße
          Zur staatlichen Entgarantierung der Lebens und Arbeitsverhältnisse gesellt sich soziale Kälte. Wie bei ‚Open Air' abzulesen, werden Auseinandersetzungen nur mehr medial (offener und Leserbrief, Zeitung, Fernsehen, Gericht) und indirekt (Diskussionsrunde ohne Einladung der PlatzbewohnerInnen) ‚ausgetauscht'. Vermittelt durch Schilder und Piktogramme, Zäune und Barrikaden, Verbote, Verordnungen und Polizeipräsenz, weisen die seßhaften Angestellten, Dienstleister und Kleinfamilien das ihnen "Lästige" von sich. Geklagt wird gegenüber Kameras und in den Lokalzeitungen sowie direkt bei der Exekutive, währenddessen den aktiv Ausgegrenzten und Entrechteten gezielt die Möglichkeit der Artikulation und die Möglichkeiten des Einspruchs genommen wird.
          
Während die antiurbane Flucht vor dem "Lästigen" in abgeschotteten Villenvororten, 1.KlasseLounges oder Golfclubs ein Privileg der Reichen ist, sorgen Ordnungsamt, regierende Bürgermeister oder private Sicherheitsdienste auch innerstädtisch "für klare Verhältnisse".(12) Die "revanchistische Stadtpolitik" (Neil Smith) walzt temporäre Buden, selbstorganisierte Provisorien und Notunterkünfte nieder. Weder eine Zeltstadt auf dem New Yorker Tompkins Square noch der Druckplatz auf dem Bremer Rembertikreisel soll den Ausgegrenzten Schutz bieten: entweder man ist seßhaft oder (Kultur)Tourist.


  • BüroBert/minimal club ‚was fehlt z.B. Rembertikreisel', Beilage in der taz bremen vom 4.12.1993
  • Antirassismusbüro Bremen ‚"Sie behandeln uns wie Tiere" Rassismus bei Polizei und Justiz in Deutschland', hg. von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Verlag der Buchläden Schwarze Risse/Rote Straße, Berlin/Göttingen 1997
  • Wendelin Seebacher/Dieter Cordes ‚Ostertor', hg. von der Bremischen Gesellschaft für Stadterneuerung, Stadtentwicklung und Wohnbau mbH, Nordwestdeutsche Verlagsgesellschaft, 1987
  • Walter Grasskamp ‚Warum wird Kunst im Außenraum zerstört?' in: ‚Kunst im öffentlichen Raum Skulpturenboulevard Kurfüstendamm Tauentzien Berlin', Dietrich Reimer Verlag, Berlin, 1987
  • Volker Plagemann (Hg) ‚Kunst im öffentlichen Raum. Anstöße der 80er Jahre', DuMont Verlag, Köln, 1989

Alle Rechte für diesen Text bei Jochen Becker.





 

 
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city crime control 3.4.2000

 



 
 

(>1) Siehe hierzu auch meinen Text "Wir fordern die sofortige Schließung der Stadt Zürich" zum dortigen ‚war on drugs' in Kunst-forum #132.

 
  (>2) Eine ähnliche Argumentation – "man muß die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernstnehmen" – erleichterte im gleichen Jahr dem Bundesparlament die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl.  
  (>3) Die Stadtstaaten Berlin (1979) und Hamburg (1981) folgten nach. So leitete der Kunst-, Musik- und Architektur-historiker Volker Plagemann von 1973 bis 1980 die Bremer Kulturverwaltung und führte als neuberufener Senatsdirektor der Hamburger Kulturbehörde ab 1981 auch hier das institutionalisierte Modell ‚Kunst im öffentlichen Raum' ein.  
  (>4) Als Gegenmodell ließe sich das vielgelobte ‚Wandbild Pastorenweg' anführen. Für einen Hochbunker im Bremer Industrie-bezirk Gröpelingen erarbeitete Jürgen Waller zusammen mit Kunst-studentInnen 1978 ein monumentales Wandgemälde, welches die Produktionsprozesse der benachbarten AG-Weser-Werft zum Thema hatte. Der Bildmontage gingen langwierige Recherchen zur Stadtteil-, Industrie- und Sozialgeschichte voraus.  
  (>5) Mit BüroBert, Marlene McCarty, Singe Kremer, John Miller, minimal club, Fritz Rahmann, Aura Rosenberg, Kirsten Starcke, Silvia Steiger, Andreas Walther und Andreas Wegner. Rembertikreisel und Galerie Gruppe Grün, 15.10.-15.11.1993. Hierzu erschien eine zwanzigminütige Video- sowie ausführliche Print-Dokumentation: Galerie Gruppe Grün, Fedelhören 32, D-28203 Bremen.  
  (>6) Im Zuge der über Wochen geführten Kunst-Debatte wurden Pläne von Investoren bekannt, welche an Stelle des Kreisels eine lukrative Rück-Bebauung vorschlugen.  
  (>7) "Meine ad-hoc-Beziehung zum Rembertikreisel ist ein wenig touristisch. Ich fuhr mit dem Zug von Berlin nach Bremen, verschoß vier Filme und kehrte am selben Abend zurück. Alles, was ich über den Kreisel wußte, wußte ich von Andreas Wegner." John Millers ‚Selbst-Kritik' in der Printdokumentation  
  (>8) "Ich finde das symptomatisch für eine Kunstausstellung, es gibt Künstler, die lange vorher an-ge-schrieben wor-den sind, aber Leute, die hier vor Ort sind, die fragt man einfach mal eben so nebenbei. Und mit Sicherheit laufe ich da un-ter dem Namen Dokumentaristin oder Fotografin, aber nicht unbedingt unter dem Namen Künstlerin... Wenn ich in den Zeitungsbesprechungen nicht erwähnt werde, wo, wann und wie ausgestellt, dann fehlen diese Da-ten auch in meiner Bio-gra-fie. Daß ich im Nebenberuf hier meine ganze Sozialarbeit mache, ist 'ne andere Ge-schich-te, wo-raus diese Dinge (die Fotoserien) entstanden sind. Ich habe beispielsweise in meiner Ausstellung auch rein-ge-schrieben, wer da Assistenz, wer Layout ge-macht hat. Ich benenne die Leute. Das ganze Ladenteam, das mich für die-se Serie (für die bei ‚Open Air' gezeigten Fotos) freigestellt hat, das gehört dazu, denn sie ge-ben mir ja auch den Freiraum zu sagen, okay, jetzt mache ich eine Woche lang das." Singe Kremer im Gespräch mit Sabeth Buch-mann und Renate Lorenz  
  (>9) Der vorliegende Beitrag fügt sich aus Teilen meines sowie Auszüge aus Texten von Heino Stöver/Verein für akzeptierende Drogenarbeit und Stephan Geene sowie dem Interview von Sabeth Buchmann und Renate Lorenz mit Biggi Stiem und Singe Kremer vom Kontaktladen Weberstraße.  
  (>10) Die nationalistische ‚Deutsche Volksunion' des Münchner Verlegers Frey erreichte, voran sie kürzlich in Hamburgs ‚Law & Order'-Wahlkampft nur knapp scheiterte: Sie wurde in den Landtag gewählt.  
  (>11) Der Rückzug des Referats bzw. der übergeordneten Kulturbehörde zur Abholz- und Schildaktion wird in der Projektdokumentation aus-führlich behandelt.  
  (>12) Mit diesem Wahlspruch trat Hamburgs Regierungschef Voscherau seine letzte Wahl an. Siehe hierzu auch die Zeitungsbeilage anläßlich der Innen-Stadt-Aktion vom 2.-8. Juni 1997, welche der bundesdeutschen taz, die tageszeitung, dem Berliner scheinschlag, der schweizer WoZ sowie der Berner Tag-wacht beigefügt war.  
 
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