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Christian Vähling (city.crime.control):
Rundum sicher
Einige Vorstellungen und Mythen aus der Sicherheitspolitik

(Dieser Text basiert zum Teil auf einem Aufsatz, den der Autor im Rahmen seines Soziologiestudiums geschrieben hat. Der Aufsatz ist über das c³-Büro erhältlich. Kommentare, Verbesserungen etc. sind ausdrücklich erwünscht und ggf. an city.crime.control@gmx.de zu richten.)

Videoüberwachung ist ein großes Übel; die mit ihr verbundenen hohen Risiken und der geringe Nutzwert sprechen für sich selber und wiegen schwerer als jedes Argument für sie. Aber zumindest das öffentlich zugängliche Bild ist eins von breiter Befürwortung gegenüber einer nicht so breiten, wenn auch engagierten Kritik.

Die totale Überwachung wird vielerseits gar nicht als so schlimm gesehen, sondern eher positiv besetzt. Die Kontrolle wird als Notwendigkeit verharmlost, Sicherheit wird als Grundbedürfnis vorausgesetzt.

Die üblichen Kritikpunkte (Totalitarismusgefahr, Kriminalisierung unerwünschter Verhaltensweisen, Datenschutz, kriminalistische Bedeutungslosigkeit) sind allgemein zugänglich und werden mehr oder weniger viel diskutiert (das letzte eher weniger, das vorletzte eher mehr). Die Datenschutzfrage läßt sich dabei noch am leichtesten zerstreuen: man müsse halt gewährleisten, daß die Bilder nicht aufgezeichnet werden, ihre Verwertung kontrolliert wird etc. - technische Lösungen für nur-mehr-technische Probleme. Schwerer das Argument, daß Videoüberwachung nichts bringt. Kriminalität verlagert sich eher als daß sie schwindet. Das ist empirisch nachweisbar und technisch höchstens durch Allgegenwart zu lösen. Deshalb wird im Allgemeinen bei dem Thema die Ebene gewechselt und von "subjektiver Sicherheit" geredet.

Die Befürwortung der Videoüberwachung in der Bevölkerung stützt sich, wie's scheint, zum einen auf Aspekte des Sicherheitsgefühls, nämlich das Mißtrauen gegenüber bestimmten Räumen ("Kriminalitätsbrennpunkten"), zum anderen wohl auf dem Vertrauen in die demokratischen Instanzen (was mit sich bringt, daß der Totalitarismusvorwurf nicht wirkt, weil er unplausibel erscheint). Ferner fällt ins Gewicht, daß überhaupt etwas von offizieller Seite zum Thema Sicherheit getan wird (egal was). Die spielerische Normalisierung (Entdämonisierung) des Überwachungsgedanken (Big Brother, Webcams) wird auch oft genannt, als Anzeichen der Identifikation mit den Überwachern bzw. der freiwilligen Auslieferung. (Big Brother kokettiert zumindest mit Überwachungs- also Kontrollphantasien, auch wenn das Konzept der Sendung wohl eher auf Voyeurismus und Geldgier basiert.) Irgendwo entlang dieser Argumente muß sich die Antwort auf die Frage finden: warum ist die Videoüberwachung trotz ihrer offensichtlichen Mängel so beliebt? Für die politische Arbeit ist diese Frage auf zweierlei Weise wichtig, in Bezug auf die Legitimierung der Kritik und in Bezug auf mögliche Ansatzpunkte für politische Aktionen.


1. Geborgenheit durch Einschließen

Ein erschreckendes Symptom der Kontrollgesellschaft ist die Überwachung von Spielplätzen und Kindergärten durch Eltern. Dabei ist es nicht mal der unpersönliche Staat, der das veranlaßt, und die Zwecke, denen das dient, sind nachvollziehbar und gewissermaßen sogar recht edel. Das macht es jedoch nicht besser, eher schlimmer.

In einer ZDF-Dokumentation über Videoüberwachung bringt eine Mutter es ziemlich gut auf den Punkt, wenn sie sagt, es ginge nicht darum, in die Privatsphäre der Kindergärtnerinnen einzudringen, sondern darum, die eigene Privatsphäre zu behaupten. Die der Eltern, wohlgemerkt, unter die das Wohlergehen der Kinder fällt. Was die davon halten, steht nicht zur Debatte. Kinder haben keine Privatsphäre außer der elterlichen.

Als Vorteil der Kinderüberwachung wird gesehen, daß die Eltern auf diese Weise Einblick in die Interessen ihrer Kinder kriegen und sich abends mit ihnen darüber unterhalten können, was sie den Tag über getan haben. Mal abgesehen davon, daß es ein Armutszeugnis für die Eltern ist, nur so erfahren zu können, was ihre Kinder interessiert: was sollen die Kinder mit Eltern, die sich als ihre "großen Brüder" (die Doppeldeutigkeit ist verführerisch) ausgeben, indem sie ihnen das Recht auf Privatheit absprechen?

Es wird angenommen, daß es im Interesse der Kinder sei, wenn ihre Eltern alles über sie wissen. Grundlage dafür ist der Glaube, daß das Interesse der Eltern auch das der Kinder sei, oder: daß die Eltern auf der Seite der Kinder seien, wissen was gut für sie ist etc. Kurz: Daß die Kinder keinen Grund der Welt haben, sich gegen die Überwachung der Eltern zu verwehren - es sei denn, sie hätten etwas zu verbergen. (Woher nehmen diese Leute bloß diese Idealvorstellung von Eltern/Kinder-Verhältnissen? Lesen die keine Zeitung?)

Es gibt in diesem Zusammenhang zwei Dinge, die Kinder brauchen, die aber nicht im Interesse der Eltern sind: 1) Die Möglichkeit einer Distanzierung von den Eltern, und 2) den Kontakt zu elternunabhängigen Milieus. Das eine gibt ihnen die Möglichkeit, sich als freie Individuen zu begreifen, und das andere die Möglichkeit, mit dieser Freiheit etwas anzufangen. Das letzte, was Kinder brauchen, ist Sicherheit rundum, wenn Sicherheit den Ausschluß von gesellschaftlicher Heterogenität bedeutet.

Der Foucaultsche Begriff des Einschließungsmilieus ist für die Kindheit (zumindest in einer solchen Familie) mehr als angebracht. Die Kindheit ist geprägt durch die Verinnerlichung eines umfassenden Regelwerks und einer strengen Hierarchie, in der es vordergründig nicht um Unterdrückung geht, sondern um Geborgenheit.


Umgedacht auf die öffentlichen Institutionen, die die Elternrolle übernehmen und die Öffentlichkeit überwachen wollen, bedeutet dies: was hier geschaffen wird, ist nicht Sicherheit, also ein Milieu ohne Gefahren (was angesichts der gesellschaftlichen Risikopotentiale eh nicht so einfach geht). Es ist Geborgenheit - ein Milieu ohne Irritation. Des weiteren ist die Videoüberwachung auch kein Eindringen in die Privatsphäre, sondern vielmehr ihre völlige Verneinung. NIcht nur daß es ja nicht der private Raum ist, der überwacht wird, sondern der öffentliche - wir nutzen ihn auch nicht als privat definierte Menschen, sondern als Angehörige einer wohlbehüteten "großen Familie".


2. Gefahr benannt, Gefahr gebannt

Ein interessantes Moment in der aktuellen Sicheheitsdiskussion ist das Konstrukt der "subjektiven Sicherheit". Die Beobachtung, daß das Sicherheitsgefühl der Menschen nicht unbedingt mit der tatsächlichen Kriminalität zusammenhängt, ist nicht neu. Klassisch sind die inzwischen klischeeträchtigen alten Frauen, die sich am meisten fürchten und am wenigsten bedroht sind.

Auch Wilson und Kelling (1996), die Autoren der "Broken-Windows"-Theorie, wußten das und bauten ihren Ansatz vom "community-oriented policing" teilweise darauf auf - nicht ohne die eigentlich richtige Erkenntnis, daß Menschen, wenn sie sich sicherer fühlen, auch weniger bedroht sind, und daß eine Gegend, in der Menschen sich unbefangen auf der Straße bewegen, Straftäter abschreckt, in ihr Gegenteil zu verkehren: so sehen sie den Widerspruch zwischen der unverhältnismäßig hohen Kriminalitätsangst älterer Leute einerseits und ihrer geringen Opferwerdungsrate nicht als Widerspruch, sondern als Kausalzusammenhang: weil sich ältere Menschen mehr fürchten, schützen sie sich mehr, gehen z.B. nicht viel aus, und deswegen werden sie weniger überfallen. (S. 126)

Es entsteht der Eindruck, die Befürworter von Kontrollpolitik wollten sich noch nicht so recht von der alten Bedrohungsrhetorik verabschieden. (Das ist verständlich, läßt der Widerspruch zwischen subjektiver und objektiver Sicherheit doch den Schluß zu, daß es reichen würde, subjektive Sicherheit durch kritische Aufklärung über das eigentliche Ausmaß der Unsicherheitsfaktoren zu gewährleisten.) So wird immer wieder die Bedrohung der öffentlichen Ordnung beschworen (vgl. etwa GdP 2000). Diese Bedrohung wird aber immer weniger anhand von Risiken der Opferwerdung (die dem Bedrohungsszenario widersprechen würden, vgl. Feltes 1997, S. 541) und zunehmend anhand von Beeinträchtigungen der allgemeinen Lebensqualität dargestellt. Als Grundlage hierfür reicht die Berufung auf ein diffuses Unbehagen, im Gegensatz zu statistischen Daten, die leichter kritisiert werden könnten und sich nicht so gut vermitteln lassen.

Auch das diffuse Unbehagen der BürgerInnen läßt sich erheben und benennen. Der Bezug auf subjektive Sicherheit ist also nicht völlig tatsachenunabhängig, es wird nur feiner gesiebt, welche Tatsachen relevant sind und welche nicht. So ist die Feststellung, daß alte Frauen eher selten Opfer von Überfällen werden, weniger relevant als die Tatsache, daß alte Frauen Angst vor Überfällen haben.

Konstruiert werden Bedrohungsszenarien nicht aus blauem Himmel, sondern unter ausdrücklichem Rückgriff auf vorhandene Ängste. In der Sicherheitsrhetorik sind dies reale Ängste vor verbrecherischen Übergriffen. Dieses Argument läßt sich leicht in den Bereich des Mythischen verbannen. Wenn in Umfragen erhoben wird, wovor sich Menschen fürchten, wird damit keine reale Bedrohung erfragt. Der Kriminologe Werner Lehne (1996) ist solchen Erhebungen gegenüber zu recht mißtrauisch. Ihm zufolge sind es eher allgemeine Angstgefühle, die je nach Art der Frage kanalisiert, projiziert werden. (Etwa Angst vor der Dunkelheit.) Wenn Politiker von Kriminalitätsangst reden, meinen sie damit ein diffuses Unbehagen, das mit Kriminalität nichts zu tun hat, eher mit allgemeiner persönlicher Unsicherheit und einer Irritation, die von Zeichen städtischer Heterogenität ausgeht; der Bezug zur Kriminalität wird erst im nächsten Schritt, der Deutung, hergestellt.

In diesem Licht wird auch deutlich, was mit den "Babylonischen Urängsten" gemeint ist. Wir erinnern uns: in dem vom damaligen Innensenator in Auftrag gegebenen Graffiti-Gutachten ist die Rede von der "babylonischen Urangst, die von den unverständlichen, unbekannten, farbvandalistischen Hieroglyphen an Hauswänden und Zugflanken ausgeht" (zit. nach Zett Nr. 4/99, S. 6)

Der Bezug auf den Babylon-Mythos deutet auf drei Aspekte:

- es ist eine mythische Vorstellung, hat also nichts mit der Wirklichkeit zu tun.

- es ist eine alte Vorstellung - älter als Graffiti. Das heißt, die Angst ist bereits da und wird durch die Irritation der Graffiti nur stimuliert.

- es hat etwas mit Sprachverwirrungen zu tun, beziehungsweise Verständnislosigkeit. Deshalb läßt sich der Anblick der Graffiti als Irritation verstehen: Graffiti sind eine soziale Sprache, die von den etablierten abweicht und sie damit in Frage stellt.

Das, und nicht die mangelnde gesetzliche Legitimation, löst die Verunsicherung aus bei Menschen, die den Umgang mit Heterogenität nicht gewöhnt sind. Mit den Worten von Angstfachmann H.P. Lovecraft (1995, S.7): "Die älteste und stärkste menschliche Gefühlsregung ist die Angst, und die ältste und stärkste Art von Angst ist die Angst vor dem Unbekannten." Lovecraft verfolgt den Gedanken dann weiter in Richtung der Entstehung moderner Gruselgeschichten. Vorher entwickelt er aber noch ein Bild der Bedeutung des Mythos als einer Geschichte, die das Unbekannte in der Welt erklärt und dem Stamm/Volk seinen Platz in dieser großen, unheimlichen Welt zuweist.

Die mythische Vorstellung ist immer an Rituale gebunden, die den Zusammenhalt des Volkes und die Machtstellung der Priester festigen. Mit dieser Perspektive erhellt sich der Sinn einiger Sicherheitsmaßnahmen:

- Die Beleuchtung von sog. Angsträumen ähnelt der Geisteraustreibung, etwa zu Sylvester. "Geister" sind hier unerwünschte Individuen und Gruppen, .die sich "heidnischen" (=nicht gesegneten) Bräuchen hingeben, etwa Betteln oder herumsitzen.

- In Innenstädten, um die es in erster Linie geht, kommt noch der rituelle Akt des Kaufens dazu. Der Fetischcharakter des Geldes ist in anderen Zusammenhängen ausreichend thematisiert worden.

- Der Aspekt der Verhaltenskontrolle, die von Überwachungskameras begünstigt wird, spielt hier eine zentrale Rolle als Ersatz für ethisches Handeln. "Die Kamera ist eine veräußerte Instanz, sie ist das Pendant zum Gewissens- und Werteverlust. Mit diesem Instrument will man nun ersetzen, was innerlich offenbar verlorengegangen ist." (Pauleit, S. 102)

Webcams und Big Brother erfüllen hier vielleicht ein wenig die Rolle des Satanismus: Bannen der bösen Geister durch Identifikation.

In diesem Licht können wir die Rhetorik von der subjektiven Sicherheit als Bannen der Angst durch Beschwörung begreifen. Beschwören heißt, einen Dämonen durch Nennung seines Namens herbeirufen (heraufbeschwören, herbeireden) und ihn sich dienbar zu machen. Bannen heißt, ihn aus dem normalen Umfeld heraus in eine bekämpfbare oder harmlose Sphäre zu vertreiben. Etwa, das Böse auf die Sphäre der städtischen Verwahrlosung zu projizieren und diese dann zu bekämpfen. Die Exorzisten können sich oft gar nicht vorstellen, daß diese Verbindung jemandem unplausibel erscheinen könnte.


Vor kurzem erschien im Weser Kurier ein kurzer Zeitungsartikel, der die Diskrepanz zwischen Notwendigkeit und gewollter Gefahr illustriert. In Zusammenhang mit der nun doch nicht mehr geplanten Polizeiwache am Bremer Sielwalleck, die angesichts der dort versammelten Drogenszene angedacht, dann aber als nicht zweckmäßig verworfen wurde, wird der polizeiliche Handlungsbedarf gegenüber der Szene wie folgt umrissen:

"Grund zum Einschreiten, so die Erfahrung des Revierleiters, gebe es allerdings eher selten: ‚Tagsüber sind die Leute sehr friedlich.' Erst gegen Abend werde die Stimmung gereizter: ‚Dann müssen wir auch zu dritt oder viert da durchgehen.' Zu Zwischenfällen komme es aber nicht sehr häufig. Jedoch gibt Schmidt (der Revierleiter-C.V.) zu: ‚Das Sicherheitsgefühl vieler Menschen ist beeinträchtigt.'"

Wodurch ist das Sicherheitsgefühl beeinträchtigt? Durch die bloße Gegenwart der Junkies? Durch die Tatsache, daß abends Polizisten "zu dritt oder viert da durchgehen"? So oder so, es entsteht der Eindruck, als sei das Sicherheitsgefühl nicht der Auslöser für die Polizeipräsenz, sondern eine Rechtfertigung. Es gibt der Polizei einen Grund, auch dann einzuschreiten, wenn eigentlich gar nichts passiert ist. (Ein wenig entsteht der Eindruck, dem Revierleiter sei das auch nicht ganz geheuer...)

Wenn solche Widersprüche auftauchen, müssen wir aufpassen: dann geht es meist um etwas anderes als die Gewährleistung von Sicherheit, nämlich um die Herstellung von Ordnung, was nicht das gleiche ist. Mit Ordnung ist teilweise die Sicherung von Machtstrukturen gemeint, teilweise aber auch ganz landläufig das Ausbleiben von Müll. Die Ordnungssicherung wird an die Lebensqualität und das Sicherheitsgefühl aus zwei Gründen geknüpft:

Zum einen, um klarzustellen, daß sie im Interesse der BürgerInnen ist. Die Broken-Windows-Theorie geht davon aus, daß gemeinschaftsorientierte Polizeiarbeit von den Bedürfnissen der BürgerInnen auszugehen habe; indem die Bedürfnisse verallgemeinert werden (Sicherheit und Lebensqualität sind ja schon recht allgemein), lassen sich damit auch Einzelaktivitäten rechtfertigen, die für sich nicht so gut bei den BürgerInnen ankommen würden, wenn diese direkt danach gefragt würden. In solchen Selbstverständlichkeiten verschwindet die Gemeinschaftsorientierung zugunsten starrer Vorstellungen von Ordnung. Das liegt zum Teil in der Struktur solcher Vermittlungsprozesse, zum Teil sicher auch darin, daß da, wo diese Zusammenhänge vermittelt werden, auch ein machtpolitisches Interesse besteht, denn sonst würden sogenannte "rationale Akteure" das doch eher bleiben lassen.

Der andere Grund ist: ausgehend von ihren eigenen Vorstellungen und Ängsten, glauben die Ordnungsschaffenden wohl selbst an diese Verknüpfung. Denn wer sagt, daß ausgerechnet diese Leute frei von Aberglauben sind? Plausibilität entsteht nicht nur aus der inneren Logik eines Arguments, sondern vor allem auch aus der Übereinstimmung des Arguments mit den Überzeugungen der RezipientInnen. Selbst wenn also machtpolitische Interessen im Vordergrund stehen, müssen wir davon ausgehen, daß die rhetorischen Konstrukte den Konstrukteuren schlüssig und plausibel erscheinen. Du kannst keinen Dämonen beschwören, wenn Du nicht zumindest ein bißchen an ihn glaubst.


Das Spiel mit der Sicherheitstechnologie ist ein Spiel mit der Angst: Man müsse die Ängste der BürgerInnen ernstnehmen, heißt es. Und zwar offenbar ernster als die BürgerInnen selber. Es ist dabei völlig unerheblich, ob die Technologie ein sinnvolles Instrument zur Kriminalitätsbekämpfung ist. Das ist der rhetorische Vorteil der subjektiven Sicherheit. Obwohl es eigentlich ziemlich offenkundiger Unsinn ist, die persönliche Unsicherheit der Menschen durch Sicherheitstechnologie bekämpfen zu wollen, erscheint sie trotzdem als Allheilmittel. Wenn schon nicht gegen die Kriminalität, dann gegen die Kriminalitätsfurcht.

Jede Sicherheitstechnologie schafft durch ihre bloße Gegenwart jedoch eher Verunsicherung. Implizit sagt ihre Gegenwart: dieser Ort ist gefährlich. Und alle anderen drumherum erst recht. Wenn sie an einem Ort steht, der vorher nicht als gefährlich angesehen wurde, wird die Gefahr, die sie bannen soll, durch ihre Gegenwart überhaupt erst konstruiert. Dadurch entsteht auch in einem total überwachten Gebiet nie ein wirkliches Sicherheitsgefühl, sondern nur eine technische Begrenzung der Angst - und ein "Markt" für weitere Maßnahmen.


3. Von Disneyworld zu Entenhausen

Wenn einige Institutionen den öffentlichen Raum behandeln, als wäre er nichts als Baufläche, können wir darin erkennen, was wir schon lange geahnt haben: der öffentliche Raum wie wir ihn vertreten, als Sphäre des Aufeinandertreffens verschiedener heterogener Gruppen, die alle zusammengenommen das Wesen einer Stadt ausmachen, ist eine Idealvorstellung, deren Verwirklichung es strenggenommen nie gegeben hat. Immer schon war die Frage nach dem Zugang zum öffentlichen Raum abhängig von Machtverhältnissen (und andersrum, aber eben auch so rum). Seien es Frauen, Sklaven, Kinder, Obdachlose oder libanesische Flüchtlinge - irgendjemand blieb immer draußen, und dieses Draußen war nötig für das Selbstverständnis derer drinnen.

Das Ideal vom öffentlichen Raum in der modernen Stadt läuft darauf hinaus, daß alle als "drinnen" zu begreifen sind und draußen bereits nicht mehr Stadt ist. Dann wären alle in der Stadt an ihrer Gestaltung beteiligt. Das ist als Ideal nach wie vor vertretbar. Aber es ist, wie Ronneberger, Lanz und Jahn (1999, S. 207) zeigen, auch nicht ohne weiteres einzufordern. Kritik und Veränderung kann sich nicht auf den Zugang zu Räumen beschränken, sondern muß die Prozesse, aufgrund derer der Zugang beschränkt ist, selber berücksichtigen, wenn sie keine Symptomflickerei bleiben will.


Derzeit läßt sich ein Aufbrechen der Kontrollsysteme feststellen, weg vom Strafen zum Belohnen bzw. Reizeschaffen. Andererseits werden immer wieder härtere Strafen gefordert, aber das ist nur der staatliche Teil der Kontrollgesellschaft und illustriert eher den Kontrollverlust des Staates auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene. Wesentlich ist, daß der Staat zwar das Gewaltmonopol hat, aber nicht das Anreizeschaffmonopol. Entsprechend sind die neueren Kontrollformen dezentral und von jeweils geringerer Reichweite als die großen autoritären Systeme. Es ist umstritten, ob es sich bei dem, was daraus entsteht (vgl. Deleuze 1993), noch um ein Einschließungsmilieu im Sinne Foucaults handelt oder um etwas wesentlich neues. Wenn die einzelnen Kontrollformen weniger umfassend werden, sich nicht mehr auf alle Lebensbereiche, sondern auf einzelne Verhaltensweisen beziehen, entfällt der Aspekt des "soul-training", die Verinnerlichung des Kontrollsystems, die das Einschließungsmilieu auszeichnet.

Shearing und Stenning (1985) halten das für unwesentlich. Sie argumentieren, daß das "soul training" zwar zu den von Foucault beschriebenen Einschließungsmilieus gehöre, aber nicht wesentlich für das Einschließungsmilieu als solches sei. Und daß die Totalität der Überwachung noch gegeben sei. Nur während die staatliche Kontrolle zentral ist (Stichwort Panoptikum), sind die neueren Kontrollen zerstreut in viele kleine Verhaltensmaßregeln, die zusammen aber genauso beschränkend wirken, wenn nicht mehr.

Als Beispiel, wie die private Kontrolle einzelner Verhaltensweisen sich zu einer Totalkontrolle verdichtet, beschreiben Shearing und Stenning Disneyworld, wo diese Mechanismen bereits sehr früh sehr weit entwickelt waren. Disneyworld ist natürlich auch aus anderen Gründen interessant:

- der Disney-Konzern achtet in allen Bereichen, in denen er in Erscheinung tritt, darauf, daß bestimmte Normen repräsentiert sind; von Mitarbeitern wird etwa erwartet, daß sie ihr Äußeres den Erwartungen des Konzerns anpassen.

- Die Werte, die Disney vertritt, sind die der amerikanischen Moral Majority, wie die Family Values; die kleinstädtische Sauberkeit Entenhausens nimmt das Disney-Ideal vorweg.

- entsprechend ist es kein Zufall, daß Disney sich am New Yorker Times Square angesiedelt hat, NACHDEM dieser durch die Zero-Tolerance-Politik von Prostitution etc. "gesäubert" wurde.

- auch die von Disney gebaute Stadt CELEBRATION entspricht genau dem Bild vom disneyfizierten Zusammenleben; hier leben Menschen, die sich freiwillig den Disneyschen Verhaltensanforderungen unterordnen. Damit hat das, was Shearing und Stenning für die Disneysche Vergnügensdiktatur beschreiben und für den Alltag voraussehen, sich zumindest hier vollständig in die Alltagswelt erstreckt.

BesucherInnen von Disney World werden von vornherein an die Bevormundung gewöhnt, indem sie vom Parkplatz zu den Zügen geleitet werden, die sie zum eigentlichen Park bringen. Stimmen vom Tonband (standardisierte, situationsunabhängige Botschaften, nicht individuelle Dialoge) instruieren die Familien, aufeinander aufzupassen und den Anweisungen des Personals folge zu leisten etc, während die Zugstrecke so organisiert ist, daß der Blick gezielt auf bestimmte Anblicke (verheißene Vergnügungen) gelenkt wird. Auffällig ist, daß die Kontrolle verteilt wird. Es gibt keine reinen, erkennbaren Sicherheitsorgane, es gibt nur SchauspielerInnen, die auf die BesucherInnen aufpassen (den Anweisungen des etc.), dekorative Elemente, die die Besucherströme leiten, Tonbandstimmen, die Einzelanweisungen geben - und das Publikum, das mitmacht, sich nicht nur lenken läßt, sondern sich an der Lenkung beteiligt, etwa indem Familien und Reisegruppen angehalten sind, zusammenzubleiben und aufeinander aufzupassen. Die Kontrolle wird so nicht als Kontrolle, sondern als organisatorische Bedingung des Vergnügens empfunden, Spaß und Ordnung durchdringen sich gegenseitig.

Wie restriktiv die Kontrolle ist, zeigt sich erst, wenn gegen die Regeln verstoßen wird. Shearing berichtet, wie seine Tochter eine Blase am Fuß hatte und den Schuh auszog, worauf ein (als bahamischer Polizist verkleideter) Ordner sie ermahnte, daß es im Interesse der Sicherheit nicht erlaubt sei, barfuß zu gehen. "Auf den Hinweis, daß, wegen der Blase, die Sicherheit dieser Besucherin am besten gewährleistet wäre, wenn sie barfuß bliebe, zumindest auf den Fußwegen, wurden sie informiert, daß ihre Sicherheit, und wie sie am besten zu gewährleisten sei, im Ermessen von Disney Productions liege, solange sie sich auf Disneys Grund und Boden befänden, und daß, wenn sie nicht Folge leisteten, er gezwungen sei, sie aus Disney World hinauszugeleiten." (S.345)

Im Wesentlichen besteht die Disney-Kontrolle darin, daß alles für die BesucherInnen von vornherein organisiert ist. In Disney World gibt es keine Zufälle. Es gibt auch keine individuellen Bedürfnisse. Mensch kommt schließlich nach Disney World, um eine bestimmte Art von Vergnügen zu konsumieren, und geht davon aus, daß Disney schon am besten weiß, wie das geht. Diese Vorstellung wird von allen Beteiligten geteilt, sowohl von den Angestellten als auch vom Publikum, für das die Kontrolle ein untrennbarer Teil des Vergnügungsangebotes ist. Dem Zweck des Vergnügens werden andere Bedürfnisse für die Dauer des Konsums untergeordnet.


Kann diese Form von Kontrolle auch außerhalb eines an einen bestimmten Zweck gebundenen Betriebs funktionieren? Also zum Beispiel in einer Stadt? Die Vorstellung widerspricht der Vorstellung, daß eine Stadt ein Lebensraum sei, dessen Nutzung nicht im Lichte eines einzigen Zwecks organisiert werden kann. Das genau ist ja Urbanität - das Aufeinandertreffen verschiedener, teils widersprüchlicher Interessen auf begrenztem Raum, aus deren Nebeneinander dann das Spezifische einer Stadt erwächst. Und zwar nicht in einer Weise, die sich planen und organisieren läßt, sondern in gewissem Rahmen spontan und unkontrolliert. Es sei denn, jemand legt diesen Rahmen so fest, daß abweichende Nutzungen ausgeschlossen sind. Genau das passiert in den Innenstädten, die immer mehr den Einkaufszentren angeglichen werden.

In Einkaufszentren ist der Zweck, dem das individuelle Wohlbefinden unterzuordnen ist, das Einkaufen. Regelungen in der Hausordnung werden entsprechend "im Interesse eines ungestörten Einkaufserlebnisses" o.ä. eingeleitet. Durch die Koordination des innerstädtischen Einzelhandels und die Zunahme der Bedeutung der Handelsverbände und Investoren für die Stadtpolitik verstärkt sich eine Tendenz, die in den Städten sowieso schon zu beobachten ist. "Viele Menschen suchen [...] die Kernstadt nur noch als Verbraucher oder Urlauber auf. Unter dem "touristischen Blick" und einer auf Erlebnis und Entspannung ausgerichteten Konsumpraxis verwandeln sich Orte in Kulissenlandschaften und Freizeitanlagen, in denen soziale Heterogenität eher als irritierend und störend empfunden wird." (Ronneberger, Lanz, Jahn 1999, S. 72)

Daß die Innenstädte nicht mehr als Lebensraum verstanden werden, kann auch daran liegen, daß ihnen als solche die Aufenthaltsqualität fehlt, was die Einzelhändler durch Steigerung der Attraktivität als Konsumzone zu kompensieren versuchen - also durch Verstärkung der Tendenz, die diesen "Zugzwang" erst ausgelöst hat (Monokultur). Was in den Innenstädten von selber nicht entsteht (Lebensqualität), muß künstlich hergestellt werden, indem bestimmte (planbare, starre) Vorstellungen von Attraktivität verwirklicht werden. Damit vollziehen die Innenstädte im Kleinen das, was im Großen die sogenannte "Städtekonkurrenz" im Zuge der Globalisierung verwirklicht hat. "Die Folgen der Globalisierung für Städte und Regionen sind tiefgreifend, da gerade das an Bedeutung zu verlieren scheint, was das kulturelle und ökonomische Potential der Städte war: die räumliche Verdichtung von heterogenen Funktionen und sozialen Beziehungen, die ein innovatives Milieu und eine emanzipatorische soziale Praxis zur Folge hatten." (Häußermann 1999, S. 85)

Selbst wenn wir die oben angesprochenen Einschränkungen bezüglich des Ideals vom öffentlichen Raum in betracht ziehen, müssen wir die Auswirkungen dieser Prozesse auf die Städte als Verlust von Heterogenität ernstnehmen. Wenn die Innenstädte nur mehr als Einkaufszonen angenommen werden, sind es vor allem die Geschäfte, die sich als "Community" im Sinne des Community Policing verstehen dürften. Heterogenität über die Produktpalette hinaus erscheint hier als "Fremdheit", als Risikofaktor, der unter Berufung auf die "subjektive Sicherheit" und das "ungestörte Einkaufserlebnis" eingedämmt werden darf (muß?).

An dieser Stelle trifft die auf Großprojekte ausgerichtete Stadtentwicklung (Stichwort Festivalisierung) auf die technokratische Sicherheitspolitik. Beiden ist gemein, daß sie den urbanen Wildwuchs und den damit verbundenen Kontrollverlust scheuen. Das Urbild des Einkaufszentrums ist die Kleinstadt, als Ideal eines überschaubaren, kontrollierbaren, weitgehend homogenen Raums. Auch die Broken-Windows-Theorie argumentiert mit einem kleinstädtischen Ideal, dem der Gemeinschaftsorientierung und des Schutzmannes (vgl. Wilson/Kelling, S.127). Vielleicht liegt in dieser Übereinstimmung einer der Gründe für ihren derzeitigen Erfolg, auch wenn Wilson und Kelling genau das an der Kleinstadt hervorheben, was im Einkaufszentrum nicht mitgeplant wird. Da handelt es sich eher um eine kommerzielle Re-Inszenierung der Form, wie sie Hoffmann-Axthelm (1995, S. 63f.) beschreibt: "Das Einkaufszentrum ist das genaueste Spiegelbild der verlorenen Stadt, das wir heute haben, und es ist damit ihr pünktlichster Totengräber." Es ist, auch ohne die BürgerInnen für "Reaktionsdeppen" zu halten, nicht zu erwarten, daß das allgemeine Bild von Stadt von solchen Organisationsformen unbeeindruckt bleibt.

Eine interessante Parallele findet die erstarrte Gemeinschaftsorientierung wiederum bei Disney. Kunz (1999) vergleicht die Kriminalitätsentwicklung in Entenhausen mit der in Deutschland und stellt fest, daß die Kriminalität im Micky-Maus-Jahrgang 1952 weitgehend mit der deutschan Kriminalstatistik übereinstimmt, bis hin zur Tatsache, daß die meisten Verbrechen im häuslichen Rahmen oder zumindest unter Bekannten stattfinden. Ganz anders der Jahrgang 1995: die in Micky Maus dargestellte Kriminalität entspricht überhaupt nicht mehr der tatsächlichen, dafür aber ziemlich genau den Vorstellungen von Kriminalität, wie sie die Broken-Windows-Theorie und die konservative Sicherheitsrhetorik formulieren. Die Kriminellen hier sind Fremde "von außen", die nach Risikoabwägungen handeln und keine Graustufen zwischen Gut und Böse kennen.

Grundlegend für diesen Unterschied dürften zwei Veränderungen sein. Zum einen bemühen sich die Disney-AutorInnen seit je (und seit einer kommerziellen Flaute in den Achtzigern erst recht) um Zeitbezogenheit. (Dabei ist es unerheblich, daß das deutsche Micky Maus vor allem Nachdrucke bringt.) Entsprechend verarbeiten sie gesellschaftlich verbreitete Vorstellungen, besonders diejenigen, die ihnen (oder den Verlagen) im pädagogischen Sinn vermittelnswert erscheinen. Zum anderen hat es mindestens eine groß angelegte Säuberungsaktion in Entenhausen gegeben, und zwar keinen kommunalen Akt der EntenhausenerInnen, sondern den Comics Code, eine Selbstverpflichtung der Comicverlage, die gewisse Darstellungen nicht mehr zuläßt (explizit etwa moralische Grauzonen, in denen ein Verbrechen als gerechtfertigt erscheinen könnte). Mit dem Comics Code im Hinterkopf, den die Verlage formuliert haben, um einer staatlichen Zensur zu entgehen, läßt sich die Sauberkeit einer "sauberen Stadt" leicht als Abziehbild eines pädagogischen Ideals im Wertekanon der vierziger Jahre verstehen - genau das Idealbild, dem wiederum Disneys "Planned Community" CELEBRATON nachempfunden ist (und, wenn auch weniger plakativ, eigentlich die meisten Planned bzw. Gated Communities). Es handelt sich dabei um Nostalgie nach einer Zeit, die es nie gegeben hat (vgl. zu dieser absurden Situation den Aufsatz von Wood)


Mögliche Anknüpfungspunkte:

- Urbanität ist eine Folge von Heterogenität und läßt sich nicht planen. Sie entsteht nicht aus den architektonischen Gegebenheiten, sondern aus deren Nutzung, und die kann in Einzelfällen stark von der ursprünglichen Planung abweichen. (Beispiel Ummauerte Stadt) Was sich dagegen planen läßt, ist der Ausschluß von Heterogenität: indem ein Raum auf eine bestimmte Nutzung zugeschnitten und durch Kontrolle gewährleistet wird, daß keine anderen Nutzungen Fuß fassen. Wenn die Steigerung von Lebensqualität verstärkt als künstliche (technische) Attraktivitätssteigerung verstanden wird, ist das nicht zuletzt auch ein Ausdruck politischer Hilflosigkeit, der Versuch, etwas zu kontrollieren, das nicht zu kontrollieren ist. Es gibt Fälle, in denen versucht wird, die Nutzung in der Planung zu berücksichtigen. Ganz ohne geht das nie. Aber nur selten wird dabei ein Freiraum für spontane Umnutzung von Räumen gelassen, umso weniger, je mehr klare Marktinteressen hinter der Planung stehen, also auch je mehr die Städte um ihre Stellung in der Städtekonkurrenz bedacht sind.

- Aber: es ist nicht damit getan, eine bestimmte Nutzung vorzuschreiben, sie muß aufrechterhalten werden. Das Bild von der Monokultur bietet sich damit als Allegorie an: so was wächst nicht von selber, und wenn man nicht aufpaßt, geht es ein oder überwuchert. Die bisher einzige Neuerung am Bremer Bahnhofsvorplatz, die mit spontaner Lebensqualität in Einklang zu bringen ist, wird genau deswegen bereits kritisiert. Statt sich zu freuen, daß verschiedenste Menschen die Wiese vor dem Übersee-Museum zum Ausruhen nutzen, wird der Ort als "Penner-Idyll und Hundeklo" denunziert (Leserbrief im Weser Kurier, 27.5.00). Andererseits liegt vielleicht eine Chance darin, daß Irritation offenbar leicht zu schaffen ist und die künstliche Ordnung keine Dauerhaftigkeit aus sich heraus produziert.

- Die Gleichsetzung von Heterogenität und Bedrohung ist offenbar weit verbreitet. Die öffentliche Sicherheitsrhetorik entspricht tief verwurzelten Vorstellungen der BürgerInnen (und PolitikerInnen). Diese Vorstellungen sind relativ tatsachenunabhängig, aber als Vorstellungen erscheinen sie plausibel, lassen sich also an vorhandene Vorstellungen (und Ängste) anknüpfen. Anders läßt sich nicht erklären, daß die Videoüberwachung so erfolgreich ist, jedenfalls nicht ohne die Leute für doof zu halten.

Die Sicherheitstechnologien schaffen nicht Ausgrenzung; sie verstärken und manifestieren eher eine Tendenz, die in diesen Vorstellungen angelegt ist. Die Abgrenzung der Privatsphäre von der öffentlichen gibt die öffentliche dabei der Dämonisierung preis: das Unbehagen angesichts des "Außen" läßt das "Innen" harmonisch und sicher erscheinen und andersrum, entgegen aller kriminologischen Erkenntnisse. Der private Raum ist relativ frei von urbaner Irritation. Das macht ihn nicht sicherer, nur übersichtlicher. Damit wird ein Ideal produziert, das dem öffentlichen Raum als Maßstab entgegengehalten wird: keine Irritation, Übersichtlichkeit. Geborgenheit. Abgesehen davon, daß dieses Ideal in der Öffentlichkeit nur mit Gewalt zu verwirklichen ist, ist es auch trügerisch, denn nirgends ist es so sicher wie an belebten Straßen.

- "Selbst das größte Grauen ist selten ohne Ironie." (Lovecraft, "Das gemiedene Haus")

'rauf


Angewandtes Namedropping:


Deleuze, Gilles: Postscriptum über die Kontrollgesellschaften, in: Unterhandlungen, Ffm 1993, online bei www.nadir.org

Feltes, Thomas: "Alltagskriminalität, Verbrechensfurcht und Polizei", zit. nach: Kriminalistik, Heft 8-9, 1997, S. 538-547 ausführlich in: Feltes (Hg.) Empirische Polizeiforschung Bd. 12: "Das Modell New York: Kriminalprävention durch ‚Zero Tolerance'?, Holzkirchen 1997, online

Gewerkschaft der Polizei (GdP): "Freiberg: ‚Verunstalten von Gegenständen' ins Strafgesetz aufnehmen", Presseerklärung vom 7.1.2000

Häußermann, Hartmut: "Stadtentwicklung und Globalisierung", in: Kulturzentrum Schlachthof (Hg.): Parks in Space, Bremen/Boston 1999, S. 84-91

Hoffmann-Axthelm, Dieter: "Das Einkaufszentrum", in: Fuchs, Moltmann, Prigge (Hg.): Mythos Metropole, Frankfurt: Suhrkamp 1995, S. 63-72

Kunz, Hans-Ludwig: "Kriminalitätsdarstellung in Comics. Eine Analyse der Micky-Maus-Hefte der Jahrgänge 1952 und 1995" in: Monatsschrift für Kriminologie, 82. Jg., 1999, S.187-201

Lehne, Werner: Bangemachen gilt nicht - Kriminalität und Unsicherheit in der Großstadt,Vortrag, gehalten in der Evangelischen Akademie Hamburg, 9.7.1996, online

Lovecraft, H.P.: Die Literatur der Angst, Frankfurt: Suhrkamp 1995, online (engl. Originaltext)

Pauleit, Winfried: "Videoüberwachung und die ‚condition postmoderne'", in: Ästhetik & Kommunikation 8/99, S. 99-106

Ronneberger, Klaus/Walter Jahn/Stephan Lanz: Die Stadt als Beute, Bonn: Dietz 1999

Schneider, Bernd: "Beamte spielen im Viertel Hase und Igel mit der Drogenszene", in: Weser Kurier, 56. Jg., Nr. 88, Bremen, 13. 4. 2000, S. 12

Shearing, Clifford D./Stenning, Philip C.: "From the Panopticum to Disney World: The Development of Discipline", in: Doob/Greenspan (Hg.): Perspectives in Criminal Law, Ontario 1985. Die zitierte Stelle lautet im Original (für PuristInnen: "When informed that, given the blister, the safety of this visitor was likely to be better secured by remaining barefooted, at least on the walkways, they were informed that their safety and how best to protect it was a matter for Disney Productions to determine while they were on Disney property and that unless they complied he would be compelled to escort them out of Disney World."

Wehrheim, Jan: Gated Communities. Ursprünglich in: RaumPlanung Nr. 87, 1999, S.248-253. Leicht überarbeitet online (c³)

Wilson, James Q & George W. Kelling: "Polizei und Nachbarschaftssicherheit: Zerbrochene Fenster", zitiert nach: Kriminologisches Journal, 28. Jg, Weinheim 1996, S. 121-137; online (engl. Originaltext, Antlantic Monthly von 1982); auch in Feltes (97)

Wood, Andy: Spaghetti Dinners and Fireflies in a Jar: Commodified nostalgia in Disney's Celebration, online

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